ROBBENBABYS IM SANKT-LORENZ-GOLF VOR KANADA
Fotos und Reportage © H. Schulz
Auf dem Treibeis im Sankt-Lorenz-Golf vor der Ostküste Kanadas werden im März die Babys der Sattelrobben geboren. Während ihre Mütter draußen im Meer auf Nahrungssuche sind, warten die plüschigen Kleinen geduldig in der Nähe des Wasserlochs. Gegen die Kälte helfen ihnen das weiße Jugendfell und die Speckschicht, die täglich dicker wird. Wir haben die Robben auf dem Eis des Sankt-Lorenz-Golfs besucht, um sie zu fotografieren, zu filmen und mehr über diese wunderschönen Tiere zu erfahren. Die Anreise war lang und anstrengend, aber die Zeit mit den Robbenbabys und ihren Müttern war ein unvergessliches Erlebnis. Es fällt schwer, zu verstehen, dass auch heute wieder hunderttausende Robben von Jägern brutal erschlagen werden.
VIDEO
Auch 2009 wurden im Sankt-Lorenz-Golf wieder große Zahlen von Sattelrobben erschlagen. Deshalb, passend zu meiner Reportage, hier ein Video aus der englischen Online-Zeitung guardian.co.uk. Es zeigt Aufnahmen von der Robbenjagd in Kanada, die von der Naturschutzorganisation IFAW (International Fund for Animal Welfare) gedreht wurden. Klicken Sie auf den folgenden Link:
>> Video Robbenjad, © Guardian.co.uk, 26. März 2009
REPORTAGE
Robbenbabys – Bedohte Idylle auf arktischem Eis
März 1996, Sankt-Lorenz-Golf vor der Ostküste Kanadas. Wir fliegen über eine verzauberte, eine erstarrte Welt. So weit das Auge reicht, bedeckt weiß-glänzendes Eis das arktische Meer. Wie offene Wunden trennen breite Risse die riesigen Schollen, zwischen denen das Wasser dunkel schimmert. Dort, wo die mächtigen Eisplatten aufeinander prallten, zeugen Narben aus zersplittertem Eis von der Kraft der Elemente. Kaum zu glauben, dass in dieser archaischen Einöde Leben existiert.
Dann sind wir endlich am Ziel unserer Reise. Unter uns liegen Hunderte, wenn nicht Tausende dunkler Körper auf den Schollen. Im Licht der tiefstehenden Sonne werfen sie lange Schatten. Es sind Sattelrobben, Bewohner der offenen See, die so gut wie nie festes Land aufsuchen. Jetzt, im März, versammeln sie sich auf dem Eis, um dort ihre Jungen zu gebären. Hier, in ihrer eisigen Kinderstube, wollen wir die Meeressäuger filmen und fotografieren.
In einem Wirbel glitzernder Eiskristalle landet unser Helikopter. Klirrende Kälte raubt uns den Atem, als wir die Türen öffnen. Eilig entladen wir die schwere Ausrüstung. Der starke Wind beißt im Gesicht und an den Händen – gemütlich ist es hier nicht. In den plumpen Thermostiefeln stapfen wir ein paar hundert Meter durch den knirschenden Schnee – immer mit dem Wissen, dass nur eine Schicht gefrorenen Wassers uns vom arktischen Ozean trennt. Und dann der Augenblick, der uns für diesen Ort gefangen nimmt:
In einer kleinen Mulde, verborgen unter einer dicken Schicht pulvrigen Schnees, liegt bewegungslos ein Robbenbaby. Höchstens drei Tage alt, einen knappen Meter lang, aber dick wie eine pralle Wurst. Gegen die Kälte hilft ihm das weiße Jugendfell und die Fettschicht, die täglich dicker wird. Aus großen, dunklen Augen schaut das Tierchen uns an – voller Vertrauen und ohne Angst. Vielleicht ist es der Kontrast zur kalten Realität, der diesen Blick so unwiderstehlich macht.
An einer Stoßkante zweier Schollen hat sich das Eis meterhoch aufgetürmt. Direkt davor haben es sich ein paar ausgewachsene Sattelrobben bequem gemacht. Viele liegen auf dem Rücken, manche auf dem Bauch oder auf der Seite. Gelegentlich hebt eine den Kopf, um nach dem Rechten zu sehen. Bis zu 2 Meter lang sind die Tiere, und sie werden 150 Kilo schwer. Ihre Körper sind silbergrau bis braun, mit einer schwarzen, hufeisenförmigen Zeichnung auf dem Rücken.
Mehrere Mütter haben Babys an ihrer Seite. Satt und zufrieden dösen die weiß-plüschigen Dickwänste vor sich hin. Einige lassen sich säugen. Sie nuckeln an den Zitzen, die sich auf einer kahlen Stelle am Bauch der Weibchen befinden. Da die Milch der Robben etwa zehn mal fetter ist als Kuhmilch, nehmen die Jungen rasend schnell zu. Das ist auch gut so, denn nach etwa zwei Wochen ist Schluss mit der Fürsorge. 30 Kilo müssen die Kleinen bis dahin zugelegt haben. Zehn weitere Tage liegen sie dann noch alleine auf dem Eis. Im Alter von etwa vier Wochen, nachdem sie ihr helles Jugendfell gegen ein wasserdichtes Haarkleid gewechselt haben, können sie schwimmen und sind selbständig.
Eine der Robbenmütter wird plötzlich unruhig. Schwerfällig bewegt sie sich auf ihren kurzen, flossenartigen Vorderbeinen über das Eis und verschwindet kopfüber durch ein Loch ins Wasser. Sie hat Hunger und geht auf die Jagd nach Dorschen, Heringen und anderen Fischen. Das kann dauern. Als sie drei Stunden später noch immer nicht zurück ist, verliert ihr Junges die Geduld. Kläglich schreiend robbt es in die Nähe des Eislochs. Kurze Zeit später taucht Mutters Kopf endlich auf. Kleine Eisklümpchen hängen an ihren Wimpern und Schnurrhaaren. Mit einem kräftigen Schwung katapultiert sich das Robbenweibchen aus dem Wasser – und ihr Baby ist zufrieden.
Eine Idylle wie aus dem Bilderbuch. Aber wie lange noch? Der Klimawandel bedroht die friedliche Welt auf dem driftenden Eis. Wissenschaftler der internationalen Naturschutzorganisation IFAW haben beobachtet, dass die Eisflächen seit 1996 stetig kleiner werden. Im Frühjahr 2007, so vermuten kanadische Fischereibiologen, sind die meisten Robbenbabys im Sankt-Lorenz-Golf ertrunken, weil die Eisschmelze zu früh einsetzte. Trotzdem werden alleine in Kanada noch immer jährlich mehr als 300.000 Sattelrobben gejagt. Während manche Politiker noch streiten, ob es überhaupt eine globale Erwärmung gibt, hat hier, auf dem Eis im Sankt-Lorenz-Golf, die Katastrophe bereits begonnen.
Infos zu „Sattelrobben“
Sattelrobben (Phoca groenlandica) gehören wie unsere Seehunde zur Familie der Hundsrobben (Phocidae). Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über weite Teile des Nordpolarmeers. Bei der Jagd nach Beute tauchen Sattelrobben bis in fast 300 Meter Tiefe. Bis heute kämpfen Natur- und Tierschutzorganisationen gegen die Jagd auf die weißen Robbenbabys.
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