KLAFFSCHNÄBEL IN INDIEN
Fotos und Reportage © H. Schulz
Im indischen Keoladeo Nationalpark brüten neben vielen anderen Vogelarten auch die eigenartigen Klaffschnäbel. In einer Kolonie inmitten von Sümpfen und Überschwemmungsflächen konnte ich die Störche mit dem Schlitz im Schnabel aus der Nähe beobachten.
REPORTAGE
Die Vögel mit dem Schlitz im Schnabel
Klaffschnäbel – welch komischer Name. Diese Vögel wollte ich sehen! Und nun stehe ich vor ihnen, in den Sümpfen im indischen Keoladeo Nationalpark. Aus der Krone einer dornigen Akazie, in ihren Nestern, die aus zahllosen Ästen schlampig zusammengeflickt sind, blicken die Gefiederten misstrauisch auf mich herab. Und im Fernglas kann ich jetzt deutlich erkennen: Längs durch den klobigen Schnabel zieht sich ein offener Spalt. Nur vorne und hinten sitzen die Schnabelhälften passgenau aufeinander. Eine Missbildung, könnte man denken, sähe man nur einen der Vögel.
Meist lässt schon der Schnabel erahnen, wovon eine Vogelart sich ernährt. Die Uferschnepfe stochert wie mit einer Pinzette die Würmer aus dem Schlick. Der Specht hämmert Höhlen in die Bäume. Und jedem Greifvogel sieht man an, dass sein Hakenschnabel tötet und die Beute zerreißt. Nachdem bekannt wurde, dass der Klaffschnabel sich von großen Wasserschnecken ernährt, schien auch für ihn die Erklärung logisch: In dem Spalt, der zwischen den Schnabelhälften klafft, knacken die Vögel die Schneckenhäuser. Dumm nur, dass sie in Wirklichkeit die schleimige Beute mit der Schnabelspitze aus dem Gehäuse stochern. Die harte Schale bleibt dabei fast unversehrt. Und so weiß man zwar, wie der Klaffschnabel zu seinem eigenartigen Namen kam. Aber wozu der Schlitz im Schnabel wirklich dient, das bleibt bis heute ein Rätsel.
Klaffschnäbel gehören zu den Störchen und lieben, wie viele ihrer Verwandten, die Nähe des Wassers. Hier, im Keoladeo Vogelreservat, brüten sie in großen Kolonien. Das Schutzgebiet, das einst von den Maharadschas für die Entenjagd aufgestaut wurde, bietet den gefiederten Schneckenfressern heute einen Lebensraum so recht nach ihrem Geschmack – und einen reich gedeckten Tisch.
Inzwischen haben die Klaffschnäbel sich an mich gewöhnt. Vor wenigen Tagen erst sind die Jungen geschlüpft und verlangen jetzt energisch nach Nahrung. Im Nest nebenan landet ein Altvogel. Krampfhaft würgt er aus dem Schlund das Futter vor die bettelnden Küken, das diese gierig verschlingen. Nach der Fütterung sind die Kleinen satt. Was ihnen da zum Mahl gereicht wurde, das konnte ich nicht erkennen. Aber eins wird mir klar: Wofür auch immer der klaffende Schnabel gedacht ist, er funktioniert.
Informationen zu „Klaffschnabel“:
Es gibt zwei Arten von Klaffschnäbeln: Der Silberklaffschnabel (Anastomus oscitans) lebt in Indien, Pakistan und Südostasien, der Mohrenklaffschnabel (Anastomus lamelligerus) ist in Südafrika und Madagaskar zu Hause. Ihre Beute, Schnecken und Muscheln, ertasten beide Arten mit dem Schnabel im trüben Wasser.
Kommentar verfassen