DER „KLEINE BRUDER DES WOLFS“ KEHRT NACH EUROPA ZURÜCK
Foto und Reportage © H. Schulz
Golden leuchtet der Gipfel des Kilimandscharo im warmen Licht der aufgehenden Sonne. Ich bin auf Fotopirsch im Amboseli Nationalpark an der Grenze zwischen Kenia und Tansania. In der Nacht haben ganz in der Nähe unseres Camps die Löwen gebrüllt. Haben sie Beute gemacht? Durchs Fernglas streift mein suchender Blick über die Savanne. Die großen Katzen finde ich nicht. Aber dann entdecke ich einen anderen Räuber, ähnlich einem kleinen, schlanken Wolf. Der Goldschakal nutzt die Gunst der Stunde und tut sich an den kargen Resten der Löwenmahlzeit gütlich. Gierig reißt er die letzten Fleischfetzen vom blutigen Schädel einer Thomson-Gazelle.
Typisch Schakal? Zwar fressen die zu den Hunden gehörenden Savannenbewohner gerne das, was größere Raubtiere übrig lassen. Aber das Image als feiger Schmarotzer haben sie trotzdem nicht verdient. Ähnlich wie ein Fuchs jagt der Schakal Nager und andere kleine Tiere mit dem „Mäuselsprung“: Katzbucklig lauert er mit aufgerichteten Ohren. Dann springt er aus dem Stand blitzschnell in die Höhe und landet mit den Vorderpfoten auf der Beute, um sie mit dem scharfen Gebiss zu töten. Dass Schakale auch ausdauernde und schnelle Läufer sind, konnte ich vor ein paar Tagen beobachten: In wilder Jagd hetzten die Raubtiere eine junge Gazelle und rissen ihr erschöpftes Opfer schließlich zu Boden.
Goldschakale sind in Nord- und Ostafrika und in Asien und Arabien zu Hause. Auch in Südosteuropa, vor allem in Bulgarien und Kroatien, leben mehr als 10.000 Schakale. Dass aber seit zwei Jahrzehnten die Jäger mit dem goldfarbenen Fell zunehmend auch wieder in Mitteleuropa einwandern, ist bisher kaum bekannt. In Italien und Österreich haben sich bereits mehrere kleine Populationen etabliert. Aus Deutschland ist bisher nur ein einziger Nachweis bekannt: Ein Goldschakal erschien im Sommer 2000 in Brandenburg. Er fiel bald darauf einem Wilderer zum Opfer. Neben dem Menschen ist der Wolf der schlimmste Feind des Schakals. Und es scheint, dass dort, wo Meister Isegrim sich zurückgezogen hat, sein kleinerer Verwandter wieder Fuß fassen kann.
Die alten Ägypter verehrten den Schakal als Anubis, den Gott der Toten und den Wächter der Gräber. Zahlreiche Darstellungen auf Tempelwänden im Tal der Könige zeigen die Gottheit, in Gestalt eines Menschen mit dem Kopf eines Schakals. In der dicht besiedelten Agrarlandschaft Mitteleuropas wird erst die Zukunft zeigen, ob man dem „kleine Bruder des Wolfs“ eine Chance gibt, wieder heimisch zu werden.
Holger Schulz
Bergenhusen, 7. Oktober 2010
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