BÄRBEL UND IHRE SCHWALBEN
Fotos und Reportage © H. Schulz
„Sag‘ mal, wird das für die Kleinen nicht zu spät? Die müssten doch bald nach Afrika fliegen“. Bärbel Bothsmann macht sich Sorgen um ihre Schwalben. Das napfförmige Nest, aus mit Speichel zusammengeklebten Lehmkügelchen und trockenem Stroh, klebt an einem Balken unter dem Dach des Carports. Neugierig, ohne jede Angst, schauen die vier wohlgenährten Jungen zu uns herab. Nein, zu spät für den Abflug ist es jetzt, Anfang September, noch nicht. Zwei bis drei Bruten pro Jahr sind bei den Rauchschwalben normal. „Da kann es schon mal Oktober werden, bis die letzten sich auf den Weg machen“, erkläre ich Bärbel.
Draußen, über dem großen Garten, jagen die Eltern der Schwalbenbrut mit bis zu 80 Stundenkilometern nach Nahrung. Im pfeilschnellen Flug erbeuten sie Mücken, Schmetterlinge, Fliegen und andere Insekten, die an warmen, windstillen Spätsommertagen die Luft bevölkern. Etwa ein Kilo der kleinen Beutetiere benötigt der Nachwuchs, um flügge zu werden. Kein Wunder also, dass bei anhaltendem Regen und Kälteeinbrüchen viele Jungschwalben verhungern. Als Mitte der 70er Jahre eine Schlechtwetterperiode die abziehenden Schwalben überraschte, kam es gar zu einem Massensterben. Tierschützer sammelten damals mehr als eine Million der erschöpften Vögel ein und transportierten sie per Bahn oder Flugzeug nach Südeuropa, dem Winterquartier entgegen.
Gegen Ende der Brutsaison sammeln sich die Rauchschwalben in großen Scharen, um im Röhricht zu übernachten. Noch im Mittelalter glaubten deshalb die Menschen, die eleganten Flieger würden die kalte Jahreszeit im Schlamm von Teichen und Seen verschlafen. Heute weiß man es besser. Die Überwinterungsgebiete der Rauchschwalben liegen südlich der Sahara in Ost- und Zentralafrika. Beim nigerianischen Dorf Boje-Enji rasten alljährlich bis zu einer Million der erschöpften Wanderer. Ein Naturspektakel der besonderen Art – nicht nur für die Bewohner der Region, die den Vögeln mit Leimruten nachstellen, sondern auch für europäische Vogelbeobachter.
Gegen Abend herrscht an Bärbels Carport noch immer hektischer Flugverkehr. Im 2-Minuten-Takt landen die Rauchschwalbeneltern an ihrem Nest. Eilig stopfen sie die erbeuteten Insekten in die aufgerissenen Schnäbel der gierig bettelnden Jungen – und sind Sekunden später wieder unterwegs. Den sonnigen Tag heißt es zu nutzen. Man weiß ja nie, was das Wetter so bringt.
Informationen:
Zwei Schwalbenarten leben in den Dörfern Schleswig-Holsteins: Die Rauchschwalbe mit dem tief gegabelten Schwanz und der schwarz-roten Kehle brütet in Kuhställen und anderen Gebäuden, in halbkugelförmigen, oben offenen Nestern. Die kleineren Mehlschwalben haben einen nur leicht eingekerbtem Schwanz und eine reinweiße Unterseite. Ihre Lehmnester kleben an der Außenseite von Gebäuden und sind, mit Ausnahme eines Einfluglochs, rundum geschlossen.
Holger Schulz
Bergenhusen, 9. September 2010
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