GEFIEDERTE UNTERWASSERJÄGER IM TOSENDEN WILDBACH
Reportage © H. Schulz Foto:© S.R. Miller / Fotolia
Auf schmalem Pfad wandere ich durch die Bodeschlucht im Nationalpark Harz. Bergseits krallen sich die Bäume mit ihren knorrigen Wurzeln in den steilen Hang. Zum Tal hin blinkt die Sonne durch schütteres Gehölz. Tosendes Rauschen lockt mich hinaus an den Bach. Mit schäumenden Wellen zwängt sich die Bode durch ihr schmales Bett und brodelt um blankgeschliffene Steine. Dicht über dem Wasser kommt im schwirrenden Flug ein kleiner Vogel daher. Furchtlos landet er, inmitten der sprühenden Gischt, auf einem moosbewachsenen Felsen. Es ist eine Wasseramsel. Die wildromantische Bode ist ein Gewässer so recht nach ihrem Geschmack.
Cinclus cinclus haben die Wissenschaftler den Vogel mit dem weißen Brustlatz getauft. Sein deutscher Name ist irreführend, denn mit den Amseln hat der quirlige Piepmatz nichts zu tun. Seine Heimat sind schattige, saubere Bäche und Flüsse, mit schnell fließendem, sauerstoffreichem Wasser. Mehr als jeder andere europäische Singvogel ist die Wasseramsel auf das nasse Element angewiesen. Hier, an der Bode im Ostharz, brüten zahlreiche Paare, in Revieren, die sich jeweils über mehrere hundert Meter Flusslauf erstrecken.
Auf einem Felsblock am Ufer der Bode mache ich es mir bequem. Mit dem Fernglas habe ich nun die Wasseramsel perfekt im Blick. Ein Stück weit hüpft sie über ihre kleine, steinerne Insel, knickst aufgeregt und pickt im Moos nach Insekten. Dann plötzlich fliegt sie auf – und stürzt sich kopfüber in die Fluten. Schemenhaft kann ich erkennen, wie sich die Wasseramsel von der Strömung zum Gewässergrund drücken lässt. Mit kräftigen Schlägen der kurzen Flügel rudert sie, auf der Suche nach Nahrung, tauchend zwischen den Steinen. Ihre Beute sind wasserlebende Larven von Köcherfliegen, Steinfliegen und Kriebelmücken.
Etwa zehn Sekunden dauert die Unterwasserjagd, dann taucht der Vogel wieder auf. Mit prall gefülltem Schnabel fliegt die Wasseramsel flussabwärts und verschwindet unter einer kleinen Brücke. Irgendwo dort wartet ihr Nachwuchs auf Futter. Ein paar Minuten später entdecke ich das Nest: Das kugelige Gebilde aus Moos und Gras ist halb verborgen in einer Nische, knapp über dem gurgelnden Wasser. Dicht gedrängt sitzen vier Küken an der Öffnung. Nur noch wenige Tage, dann sind sie flügge: Bereit für den ersten Ausflug – in eine nasse Wildnis voller Gefahren.
Holger Schulz
Bergenhusen, 20. August 2011
Foto: S.R. Miller / Fotolia
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