COCHENILLE: LÄUSEBLUT, DAS ROTE GOLD VON LANZAROTE
Fotos und Reportage © H. Schulz
Wildes Lanzarote: Vulkane, schwarze Lavaströme und bizarre Schlackenkegel zeugen von der Urgewalt bei der Entstehung der „Insel des Feuers“. In dieser unwirklichen, trockenen Landschaft hat die Vegetation kaum eine Chance. An der Ostküste der Kanareninsel jedoch, bei Guatiza, tauchen Abertausende Feigenkakteen die Einöde in ein blasses Grün. Grob aufgesetzte Mauern aus Lava und Tuff teilen das stachlige Gestrüpp in einzelne Felder. Aber was wollen die Bauern auf diesen Opuntienfarmen ernten?
Wie eine Krankheit überziehen hellgraue Flecken die fleischigen Kakteenblätter. Ganze Kolonien von Scharlach-Schildläusen haben sich dort angesiedelt. Die Weibchen sind knapp erbsengroß und ernähren sich vom Saft der Opuntien. Eine Schicht aus mehligem Wachs, abgesondert aus ihrem Hinterleib, überzieht die geriffelten Körper mit weißlichem Flaum. Zwischen den Weibchen, die ihr ganzes Leben am gleichen Fleck verbringen, krabbeln emsig die geflügelten Männchen umher.
Ein Horrorszenarium für jeden „anständigen“ Gärtner. Aber die Läusebauern von Lanzarote stimmt dieser Anblick zufrieden. Schließlich haben sie selbst die Kakteen mit den Larven der Schildläuse „geimpft“. In meiner Hand zerreibe ich einige der kugeligen Insekten. Tiefrot quillt eine Flüssigkeit aus den zerquetschten Körpern: Karminsäure, das „Rote Gold von Lanzarote“. Aus dem „Läuseblut“ wird Cochenille gewonnen, einer der teuersten Naturfarbstoffe der Welt. Verwendet wird er in Lippenstiften und Naturtextilien – und noch immer zum Färben einiger Lebensmittel. Für ein Kilo der wertvollen Farbe werden etwa 140.000 Schildläuse benötigt.
Zerquetschte Läuse im Essen? Schon bei dem Gedanken daran werden viele sich schütteln. Wo „E120“ als Lebensmittelfarbstoff drauf steht, dort ist Cochenille drin. Nicht nur in Marmeladen, Süßigkeiten und mancher südeuropäischen Salami, sondern sogar in Getränken. Jahrzehntelang erhielt auch der Aperitif Campari sein intensives Rot von dem tierischen Farbstoff. Im Jahr 1870 exportierten die Kanaren noch 3000 Tonnen des „roten Golds“. Mit der Entwicklung synthetischer Farbstoffe brach der Markt für Cochenille zusammen. Doch heute, in Zeiten von „zurück zur Natur“, sind organische Farben wieder im Trend. Gute Aussichten also für die Läusebauern von Lanzarote.
Holger Schulz
Bergenhusen, 4. März 2010
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