WILDE PFERDE – MITTEN IN DEUTSCHLAND
Fotos und Reportage © H. Schulz
Morgendämmerung im Merfelder Bruch bei Dülmen. Am Waldrand warte ich, mit der Kamera in der Hand, auf die Wildpferde. In das Konzert der singenden Vögel mischt sich plötzlich ein dumpfes Rumpeln. Das Trappeln hunderter Hufe kommt rasch näher. Und dann drängt die Herde im Galopp aus dem Wald, raus auf die sattgrüne Wiese. Wilde Pferde – hier in Westfalen, mitten in Deutschland? Zugegeben: So richtig wild sind die seltenen Vierbeiner nicht. Aber in den Bruchwäldern und auf den Wiesen des Schutzgebiets leben sie weitgehend unabhängig vom Menschen, wie ihre Vorfahren seit Hunderten Jahren.
Bekannt sind die „Dülmener Wildpferde“ seit dem 14. Jahrhundert. Schon damals streiften sie in großen Herden durch die weitläufigen Sümpfe und Auen. Als die Menschen das Land zunehmend urbar machten, wurde es eng für die kleinen, robusten Pferde. Im Jahr 1845, als die Rasse kurz vor dem Aussterben stand, schuf der Herzog Alfred von Croy den wenigen Überlebenden im Merfelder Bruch ein Schutzgebiet. Heute leben dort etwa 350 Wildpferde, hinter Zäunen zwar, aber sonst wie in freier Natur. Ställe oder Schutzhütten kennen sie nicht. Als Nahrung nehmen die genügsamen Tiere das, was die Natur ihnen bietet. Nur in kalten Schneewintern erhalten sie Heu als zusätzliches Futter.
Inzwischen stehe ich mitten zwischen den Pferden, die keinerlei Scheu vor mit zeigen. In kleinen Gruppen ziehen die Tiere äsend über die Lichtung. Ausgelassen tollen falbfarbene Fohlen zwischen den Stuten oder spielen mit ihren Altersgenossen. Der Jeep, der am gegenüberliegenden Ende der Wiese erscheint, interessiert die Tiere erst mal nicht. Als dann jedoch ein rassiger Deckhengst aus dem Pferdeanhänger tritt, ist Schluss mit der beschaulichen Szene: Kaum hat der Macho die Herde entdeckt, stürmt er mit wehender Mähne herbei und treibt, mit tief gehaltenem Kopf, die Stuten. Bis zum späten Abend kommt die Herde nicht mehr zur Ruhe.
Fast genau ein Jahr später bin ich wieder im Merfelder Bruch. Eine Stute hat soeben ihr Fohlen geboren. Beäugt von neugierigen Tanten liegt das Kleine, noch von den Eihüllen bedeckt, am Boden. Zärtlich leckt die Mutter ihr Baby sauber und stupst es dann mit der Nase, als wolle sie sagen: Aufstehen, Du Faulpelz, es wird Zeit, laufen zu lernen. Und tatsächlich: Eine halbe Stunde später folgt das Kleine der Stute zum Wald – auf wackligen Beinen, aber schon ganz schön keck. Einen Tierarzt brauchen die Beiden nicht – wie es sich für Wildpferde gehört.
Holger Schulz
Bergenhusen, 28. Juni 2011
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