HORROR „PENISFISCH“ – LEGENDE ODER REALITÄT?
Reportage © H. Schulz
Geheimnisvoller Amazonas. Das trübe Wasser des mächtigen Stroms ist die Heimat zahlloser Fische. Langsam und unauffällig gleiten sie durch das Gewirr aus wuchernden Pflanzen. Ihre Kiemendeckel bewegen sich sanft im Rhythmus des Atmens. Bei jedem Öffnen und Schließen strömt Wasser zuerst in die Mundhöhle und an den Kiemen vorbei zurück in den Fluss. Doch ein tückischer Parasit stört jäh die friedliche Szene. Angelockt von der Strömung des Atemwassers schwimmt der Candirú, ein kleiner, aalförmiger Wels, in die Kiemenhöhle seines Opfers und haftet sich dort mit seinen Stacheln fest. Ein Entrinnen gibt es nicht. Mit scharfen Zähnen beißt der Angreifer zu. Das Blut, das aus den Kiemen dringt, dient dem „Vampirfisch“ als Nahrung.
Manchmal jedoch führt der Weg gegen die Strömung den Parasiten in einen falschen Wirt. Ein Irrtum, den der Blutsauger meist nicht überlebt – und der auch das Opfer schwer verletzt. In manchen Regionen am Amazonas ist der „Vampirfisch“ bei den Menschen gefürchtet. Denn entleert ein Mann seine Blase ins Wasser, dann führt das nicht immer nur zur Erleichterung. Ein Candirú, der zufällig vorbeischwimmt, kann dem Urinstrahl folgen und so in die Harnröhre eindringen. Bis der Fisch seinen Fehler bemerkt, ist es zu spät. Seine Dornen halten ihn im Penis fest, einen Rückweg nach draußen gibt es nicht. Auch das Opfer hat keine Chance, den ungebetenen Gast zu entfernen. Denn der „Penisfisch“ gerät, beim zappelnden Versuch, sich zu befreien, immer tiefer in die Harnröhre, manchmal sogar in die Blase.
Viele Amazonas-Reisende des letzten Jahrhunderts hielten solche Penisfisch-Geschichten für Legenden. Zu grausig war die Vorstellung dieser Tortur. Bis eines Tages, im Jahr 1997, Silvio Barbosa unter Qualen den Beweis „vorlegte“. Ein Candirú war in seine Harnröhre eingedrungen. Drei Tage lang litt der junge Brasilianer unter schrecklichen Schmerzen, bevor er ein Krankenhaus aufsuchte. Dr. Anoar Samad, ein Urologe aus Manaus, konnte den etwa 15 cm langen Parasiten entfernen. Eingeborene am Amazonas schwören in solchen Fällen übrigens auf Naturmedizin: Die Extrakte zweier Urwaldpflanzen sollen, zusammen eingenommen, den lästigen Plagegeist auflösen. Silvio Barbosa jedoch bereute sicher nicht, sich für den Arzt entschieden zu haben. Er hat die Penisfisch-Attacke, so wurde berichtet, ohne bleibende Schäden überstanden.
Holger Schulz
Bergenhusen, 23. Mai 2011
Foto: Peter Henderson / Pisces Conservation Ltd.
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